Samstag, 1. Oktober 2016

Von Erwartungen, Planungen und Smoothies

Das Leben ist nicht einfach.
Leben, das Sein, ist ein komplexes System, multifaktoriell, vielschichtig, verschiedenste Ebenen, Kontexte und Inhalte kommen dabei zum Tragen. In jedem Moment, von Augenblick zu Augenblick.

All das ist erst einmal nicht schlimm, es sei denn, wir erwarten etwas anderes.

Weil das so ist, wie es ist, entsteht in vielen Menschen ein Bedürfnis, nämlich, dass es anders sei. Sie wünschen sich, dass alles doch bitte nett, simpel und bequem sei. Es könnte (sollte!) doch bitte einfach sein.
Ist es auch, aber darauf komme ich später.

Entdecke, wo die Crux steckt.
Wir sind sofort offen und dankbar für ALLES, was uns das GEFÜHL gibt, etwas sei nun einfacher, das Sein/Leben sei nun einfacher. So suchen wir beständig nach Methoden, Dingen, Werkzeugen, die uns das Leben einfacher machen. Mancher mag an dieser Stelle einwenden, dass dies aber doch auch wichtig sei, dass Wissenschaft und Forschung in der Technik doch wirklich vieles zum Leben vereinfacht habe.
Spannende Frage. Hat es das wirklich? Diese Fragestellungen sind unendlich relativ. Nähmen wir Menschen, die vor 500 Jahren lebten, vor 200 Jahren, vor 50 Jahren, vor 2o Jahren und von heute:
Wem ging es – ganz subjektiv – denn „leichter“? Keinem. Fast eher schon würde man annehmen, dass es Menschen vor hunderten Jahren wesentlich einfacher hatten.
Richtig ist, dass gewisse Bedürfnisse sich wesentlich veränderten, wesentlich mehr Raum für „Needs“ entstand. Vor 200 Jahren war es für den Großteil der Bevölkerung nicht essentiell, „wie es einem denn geht“ – man war froh, wenn man einigermaßen überlebte. Menschen von heute haben einen ausgeprägten Bedarf nach einer Komfortzone und faszinierenderweise versuchen wir, diese Zone so weit wie möglich auszudehnen.
Aber ist das nicht legitim? Mag man fragen.
Ja. Ist es.
Aber es ist ebenso vermessen.
Denn – wie wir oben konstatierten – das Leben IST komplex.
Und jedes Tool, jedes neue Bearbeitungsmuster, macht das Leben zugleich wieder komplexer, führt zu einer neuen Tendenz, einer Festlegung, neuen anderen Erwartungen, die wiederum enttäuscht werden müssen…

Got it? Das ist wichtig.

Oder andersherum. Du weißt es, wir wissen es: ALLES hat seinen Preis.

Vereinfache etwas.
Ist o.k.. But you have to pay your taxes!
Alles geschieht auf Kosten von etwas anderem.
Nehmen wir das Internet. Es ist toll, es ist geil, es macht so vieles einfacher. Du weißt, welche Krise es bei manchen auslöst, wenn sie plötzlich keinen Zugang haben – das Leben erscheint unmöglich! Nur ein Beispiel.

Alles hat seinen Preis. Wenn Du hier etwas wegnimmst und dort anfügst, fehlt es „hier“. Ich kann auf das Frühstücken verzichten und sofort mit dem „Leisten“ starten – aber das Frühstück fehlt de facto.
Yang entsteht aus dem Yin, Yin aus Yang – klingt simpel (ist es auch), in der (sich vorgestellten) Praxis sehr komplex – es ist, wie das Leben an sich ist.

Themen-, Gedankensprung: Unser Geist ist unendlich entwicklungsfähig - wenn wir ihm eine Chance dazu geben! Er ist ähnlich einem Muskel – unter einem gewissen Reiz entwickelt er sich, bildet es Synapsen. Wir aber geben einen Großteil unserer Energie und Finanzen dafür, diesen Muskel möglichst „in Ruhe zu lassen“, damit er sich den „netteren Dingen widmen kann“. Fakt ist zwar, dass wir zunehmend zum Bedienen all unserer Apps und Tools und vorgegebenen Viationen gar keine Zeit mehr für etwas anderes haben, aber das scheint egal – zumindest für den Moment.
Doch es rächt sich schnell – irgendwo merken wir, dass etwas nicht stimmt, wir irgendwo trotz aller Vereinfachung nicht genug (whatever that means) Zeit übrig haben. Und so kehre ich denn wieder zur Ausgangsprämisse zurück: Das Leben ist so, wie es ist – und es ist nicht simpel, sondern komplex.
Allzuviel ist nicht kalkulierbar, kaum abzuwägen – und am wenigsten wir selbst in unserem Tun, Denken und Handeln. Dieser Mikrokosmos ist genau so komplex wie der Makrokosmos um uns.

Nun kommt die Essenz, das Zaubermittel, der Stein der Weisen: Er lautet Improvisation! Denn de facto braucht es das, das Leben – Improvisation, oder, wie wir Zen-Buddhisten sagen, Nichtwissen. Schauen, was es jetzt braucht (jenseits davon, was wir „geplant haben“).
Lebensmeisterung, wenn es denn so etwas gibt, bedeutet, Meisterschaft in der Improvisation zu erlangen.
Der Haken, Improvisation müssen wir erlernen, es gibt keine App dafür. 

Nehmen wir einen Navy-Seal als Beispiel für einen Kämpfermeister. Er hat verschiedenste Kampfabläufe eintrainiert – und ja, hier bis Du auch ein Seal - und schauen wir, was er in einem Kampf, also jenseits des Trainings, sondern vielmehr mitten im Leben, macht. Er schaut immens, was es JETZT, im Moment des gegnerischen Angriffs, aufgrund der gegnerischen Lage, braucht und handelt – improvisiert in gewissem Sinne von Moment zu Moment. Er kann/darf nicht sagen, stop, das ist Scheiße, ich hatte erwartet, dass er mit rechts angreift, stattdessen aber geht er zur Seite und kommt von links. Das geht so nicht, das passt mir nicht in meinen Plan. Warum um gotteswillen greift der denn auch mit links an…, ich versteh solche Leute nicht, die mit links angreifen….ich sollte mehr Linksangriffe üben und überhaupt, da bin ich noch nicht soweit, als..... hoppla, wieso bin ich eigentlich tot?......................

Du verstehst – so geht es nicht. Das Leben, der Alltag, ist nichts anderes.
Wie kann ich mich auf das Unerwartete vorbereiten und trotzdem planen?
Entdecke, dass ein Plan eben nur ein Plan ist. Er ist wie eine Straße, ein Weg, aber Du musst die Jakobstraße, nur weil sie bis zum Rathaus führt, nicht bis zum Rathaus durchgehen. Dein Ziel ist z.B., zum Bäcker zu kommen – und das heisst, an der Kreuzung Karlsgraben rechts abbiegen – und auch hier nicht bis zur Hauptpost, wo der Karlsgraben endet, sondern nur bis zum Bäcker.  Pläne, Konzepte sind gut, sind wichtig, aber essentiell ist, welche Ziele erreicht werden sollen und nicht, dass der Plan so aufgeht, wie angenommen.
Im Leben erfolgreich sein bedeutet, improvisieren lernen – nicht, Pläne zu erfüllen.
Häufig glauben wir, zu versagen, wenn wir einen Plan nicht eins zu eins umgesetzt haben. Doch Versagen findet allenfalls da statt, wo wir keinerlei Ziele erreicht haben.

Leben ist beständiger Wandel, beständige Transformation, Veränderung – integriere diesen Fakt und stelle Dich darauf ein, immer wieder neu. 

Erwarte nicht vom Leben, dass es „smooth“ ist, denn das Leben ist einfach so, wie es ist. Es kann „smooth“ werden, wenn Du Dir erlaubst, selbst  „smooth“ zu werden….

Dabei, wie immer, gutes Gelingen!

1 Kommentar:

  1. Vor ein paar Tagen rief mich eine Kundin an. Sie fragte, ob der von ihr gebuchte Kurs am Abend überhaupt stattfinden könne, da sie gehört habe, dass in Aachen wegen eines Bombenfundes es zu einer weiträumigen Sprerrung und Evakuierung kommen würde. Ich erklärte ihr, dass sie keine Sorge haben müsse. Unsere Akademie sei ca. 1,5 km von dem Ort entfernt, die Evakuierung betrage nur 300 m im Umfeld und da sie ja auch aus der anderen Ecke käme, sei das ganze kein Problem.
    Woher ich das wußte? Eine App auf meinem Smartphone hatte mir kurz vorher die Warnung zugespielt und auf einer Karte angezeigt. Die Warnung kam rein, 5 Minuten, nachdem ich mein Zazen beendet hatte. Ich hatte sie sofort gehört, weil bei dieser Art Warnungen mein Smartphone einen besonderen Ton abgibt. Ich fand das ziemlich cool ....
    Eine (von vielen) Message, die ich von Deinem Teisho hier mitnehme, Sensei, ist: Man kann sich nicht auf das Leben vorbereiten. Es ist zu komplex, oft genug muß man improvisieren. Geschmeidig sein ... Ich glaube, das wird oft mißverstanden. Darum einige Gedanken dazu: Improvisieren heißt doch nicht notwendigerweise, mal eben das Ziel wechseln, weil es schwierig wird... sondern ggf. gucken, welche Mittel es braucht, um unter unerwarteten Bedingungen das Ziel zu erreichen.
    Wenn ich mal an den Navy-Seal denke: Klar, es ist, glaube ich, im Militär und unter Kämpfern ein weit verbreiteter Spruch zu sagen: Jede Strategieplanung versagt, wenn der Kampf begonnen hat.
    Und doch tun die Seal - und nicht nur die - doch nichts anderes, als eben viele Mittel und Methoden einzustudieren, immer und immer wieder, auch Strategieplanung, Teamwork, Meditation etc. ... Sie tun das in dem Glauben, sich damit auf etwas vorzubereiten, von dem sie wissen, dass man sich nicht vorbereiten kann. Und doch sind sie wohl bei den meisten Fällen, denen sie ausgesetzt sind, jedenfalls viel besser geeignet als - sagen wir mal - ich es wäre. Weil - ja warum? Sie haben viel mehr gelernt und trainiert, aus dem sie wählen können, was sie in der Improvisation einsetzen. Oder?
    Wenn Du also schreibst, dass unser Geist wie ein Muskel entwicklungsfähig ist - und wir ihn aber oft lieber "schonen" wollen - heißt das nicht, wir sollten ihn lieber entwickeln? (allerdings nicht nur die Yang, sondern auch die Yin-Aspekte...)
    Könnte man also sagen, je mehr Upajas, Fähigkeiten - man geübt hat, je geschmeidiger man im Umgang mit ihnen ist, umso mehr steht einem in der Situation der Improvisation offen? Oder zumindest: Es ist jedenfalls ein Fehlschluss zu glauben, es sei ein weiserer Entschluss in der heutigen Zeit, sich der vielen Apps und Technologien gar nicht erst zu bedienen, sondern doch weiter Buschtrommeln zu nutzen ;) ?

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